Risiko einer "génération perdue", Nicolas Schmit au sujet du chômage des jeunes et de la crise de la dette publique

Tageblatt: 46 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, 38 Prozent in Griechenland. Quer durch Europa sind die Jugendlichen die ersten Opfer der Krise. Welche Strategie schlägt der PSE vor, um die Jugendarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen?

Nicolas Schmit: Jede Strategie, die darauf hinausläuft, den Jugendlichen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben, setzt voraus, dass wir Arbeitsplätze schaffen, dass Europa nicht in eine Rezession rutscht, dass wir zu einem inklusiven und umweltfreundlichen Wachstum finden. Der jetzt eingeschlagene Weg, was die Wirtschaftspolitik wie auch die Bewältigung der Schuldenkrise anbelangt, ist ziemlich katastrophal. Wir lösen das Schuldenproblem nicht allein mit Austerität. Wir sehen immer klarer, dass die Unsicherheit, was die Entscheidungsmechanismen anbelangt - Stichwort Merkozy -, uns in eine Mauer führt. Wir sind mittlerweile an dem Punkt angelangt, an dem die Märkte sogar Deutschland nicht mehr trauen. Wir müssen die noch immer von Deutschland ausgehende Orthodoxie brechen, sich gegen die einzigen verfügbaren Mittel zu sperren, die wieder Vertrauen in den Märkten schaffen könnten. Ich sehe da hauptsächlich die Rolle der Europäischen Zentralbank, die aktiver werden muss. Natürlich müssen wir einen Plan haben, die Staaten zu entschulden, ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem angemessenen Zeitrahmen wieder herzustellen. Aber allererste Priorität muss es sein, die Situation zu stabilisieren. Wenn wir das nicht hinkriegen, ist jede Strategie, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, extrem schwierig.

Die Konfusion auf den Märkten ist groß, die vorgebrachten Argumente überzeugen die Finanzmärkte nicht. Das ist die Ursache, warum wir in eine Rezession schlittern. Rezession und Schuldenkrise sind eine große Gefahr, die auf dem ganzen Eurosystem lastet. Wir können nicht im 21. Jahrhundert eine Politik führen, die Bezug auf eine Situation Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland nimmt, das damals in einem völlig anderen wirtschaftlichen und politischen Kontext eine wahnsinnige Depression hatte. Wir sind heute nicht in einer Situation, in der uns eine Hyperinflation drohen würde. Das ist ein völlig unrealistisches Szenario.

Wir sind heute in einer Situation, in der wir die EZB so aufstellen müssen, dass sie den Märkten klare Signale geben kann und deutlich macht, dass sie als letzter Rettungsanker für kriselnde Staaten funktioniert, dass sie nicht zulassen wird, dass einzelne Staaten zahlungsunfähig werden, weil ihre Zinsen explodieren. Das ist ein fundamentaler Punkt, der zuerst gelöst werden muss, bevor wir über Schuldenabbau, Defizitdisziplin für die Staaten und Wachstumsstrategien diskutieren. Bei der Ankurbelung des Wachstums könnte die Idee der Eurobonds interessant sein, um so eine Reihe von wichtigen Infrastrukturprojekten zu finanzieren. Ob zur Schaffung von mehr Disziplin der Staaten bei den Haushaltsdefiziten eine Änderung der Vertragstexte notwendig ist, wird man sehen müssen. Vielleicht wird man das tun müssen. Eine solche Disziplin können wir nicht einfach über die Köpfe der nationalen Parlamente hinweg herstellen. Dazu brauchen wir eine demokratische Legitimation. Ich denke, dass wir die nationalen Parlamente in einen solchen Prozess der Defizitkontrolle einbinden müssen.

Tageblatt: Die Frage, ob eine Änderung der Vertragstexte notwendig und sinnvoll ist, scheint auch in Luxemburg noch nicht ausdiskutiert

Nicolas Schmit: Ich glaube, dass da auch kein dringender Reformbedarf besteht. Es geht ja nicht darum, dass die EZB massiv intervenieren soll. Es geht darum, dass sie ein klares Signal gibt, dass sie kein Land abdriften lässt. Wir wissen alle, dass die heutige Situation mit Griechenland so nicht entstanden wäre, wenn wir rechtzeitig und entschlossen reagiert hätten. Aber das ist Vergangenheit. Es geht jetzt darum, dass die EZB eine Mission wahrnimmt, die sie meiner Ansicht nach ganz klar hat. Den Euro, die Währungsunion zu schützen, steht im Vertrag, und zwar über allen anderen Zielen. Wenn sie dieses Ziel nicht verteidigt, wird sie ihrer Mission nicht gerecht. Wenn wir mehr Konvergenz und Integration im Wirtschaftsund Fiskalbereich wollen, dann brauchen wir auch neue Regeln. Und dann brauchen wir auch eine stärkere demokratischere Legitimation im System. Für die Eurogruppe brauchen wir eine nationalparlamentarische Instanz, die kontrollieren kann und die es auch ermöglicht, Entscheidungen schneller zu treffen als das heute der Fall ist. Wenn wir das alles nicht als Grundvoraussetzung schaffen, dann rutschen einzelne Länder in eine totale Rezession. Das bedeutet zehn verlorene Jahre und eine "génération perdue" von jungen Menschen, die große Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Auch Deutschland wird diesen Schock voll abbekommen, immerhin ist die Eurozone ihr wichtigster Handelspartner.

Tageblatt: Luxemburg ist eines der wenigen Länder der EU, in denen die natürliche Bevölkerung zunimmt. Wird uns das Problem der Jugendarbeitslosigkeit mit besonderer Wucht treffen?

Nicolas Schmit: Wir haben natürlich Interesse daran, dass sich die Situation stabilisiert. Der Zerfall der Eurozone ist heute nicht mehr völlig auszuschließen. Gerade für eine offene Wirtschaft wie Luxemburg wäre ein solches Szenario mit desaströsen Konsequenzen verbunden.

Tageblatt: Hoch qualifizierte Jugendliche drängen auf der Suche nach einem Job derzeit aus den südlichen Krisenländern auch verstärkt auf den Arbeitsmarkt anderer Länder, sind teilweise bereit, auch Jobs unter ihrer Qualifikation anzunehmen, weil der Lohn immer noch deutlich über dem im Heimatland liegt. Wie steht der PSE zum Thema Mindestlöhne?

Nicolas Schmit: Der freie Personenverkehr ist eine der großen Errungenschaften der EU. Der offene Arbeitsmarkt ist ein Element der Währungsunion. Der Grund für die angesprochene Migration ist wohl weniger der Lohn als die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in diesen Ländern. Solidarität zwischen den Ländern kann natürlich nicht nur über den Arbeitsmarkt funktionieren. Wir müssen diese Länder stabilisieren. Mindestlöhne sind sicherlich ein Thema, das werden aber wohl immer nationale Mindestlöhne sein. Es wäre aber sicherlich sinnvoll, wenn zumindest innerhalb der Eurozone alle Länder einen Mindestlohn hätten. Das wäre neben der "gouvernance économique" sicherlich ein wichtiges Element einer notwendigen gouvernance sociale.

Tageblatt: Qualifikation der Arbeitssuchenden und geforderte Qualifikation passen immer seltener zusammen. Was muss sich da ändern?

Nicolas Schmit: Schulabbrecher und weniger Qualifizierte aufzufangen, ist eine zentrale Aufgabe bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Die Strategie des PSE sieht vor, dass alle Staaten der EU sich verpflichten, Jugendlichen, die keinen Job auf dem freien Markt finden, nach spätestens vier Monaten eine Beschäftigung oder eine zusätzliche Ausbildung anzubieten. Dafür sollen eine Milliarde Euro an EU-Mitteln zur Verfügung gestellt werden. Eine Politik, die Luxemburg derzeit bereits teilweise verfolgt. Aber auch bei uns sind noch zusätzliche Anstrengungen notwendig. Niedrig Qualifizierte aufzufangen, steht deshalb auch im Zentrum der nächsten Maßnahmen für den nationalen Arbeitsmarkt, an denen derzeit gearbeitet wird.

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