"Die Reform ist nicht nicht der große Wurf"

Interview von Dan Kersch im Luxemburger Wort

Interview: Luxemburger Wort (Dani Schumacher)

Luxemburger Wort: Dan Kersch, gibt es neue Entwicklungen in Bezug auf die europäische Neuregelung des Arbeitslosengeldes?

Dan Kersch: Der Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ASTV) hätte eigentlich schon am Mittwoch über den Vorschlag befinden müssen. Allerdings wächst der Widerstand gegen die Reform der Koordinierung der Sozialsysteme. Die rumänische Präsidentschaft hat die Abstimmung daher verschoben, weil sie befürchten musste, dass keine qualifizierte Mehrheit zustande kommen würde. Da auch gestern keine Mehrheit zustande kam, könnte es sein, dass die Reform nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden wird. Das heißt aber nicht, dass sie damit endgültig vom Tisch wäre.

Luxemburger Wort: Würde eine zeitliche Verschiebung Luxemburg entgegen kommen?

Dan Kersch: Ja. Nicht nur Luxemburg würde von einer Verschiebung profitieren. Die EU-Staaten hätten dadurch Zeit, um die Reform noch einmal zu überdenken. Immer mehr Länder scheinen sich unserer Sicht der Dinge anzuschließen. Staaten wie Dänemark, Deutschland, Belgien oder die Niederlande, waren übrigens von Anfang an skeptisch, weil sie genau wie Luxemburg der Meinung sind, dass die Reform mehr Probleme schafft als sie lösen kann.

Luxemburger Wort: Welches sind Ihre Hauptkritikpunkte?

Dan Kersch: Die Reform ist nicht der große Wurf. Sie bringt keinen sozialen Fortschritt. Das gilt nicht nur für die Neuregelung beim Arbeitslosengeld, sondern auch für die anderen Kapitel, etwa für die geplanten Änderungen bei den Sozialleistungen oder bei den Familienzulagen. Auch bei diesen Punkten haben wir einige Änderungswünsche. Die meisten Sorgen bereiten uns natürlich die Neuerungen bei der Entschädigung der Erwerbslosen. Wir lehnen die Idee, dass Arbeitslose in dem Land entschädigt werden, in dem sie ihrem Job nachgehen, nicht grundsätzlich ab. Doch es ist die Art und Weise, wie dies in Zukunft geregelt werden soll, die uns Probleme bereitet. Die aktuelle Fassung stellt uns vor enorme Herausforderungen.

Luxemburger Wort: Und welche Herausforderungen sind das? Geht es vor allem ums Geld?

Dan Kersch: Das Argument, dass Luxemburg die Reform aus rein finanziellen Erwägungen ablehnt, ist einfach falsch. Luxemburg zahlt schon heute das Arbeitslosengeld der Grenzgänger, auch wenn sie nicht bei der ADEM eingeschrieben sind. Das System wird über bilaterale Abkommen mit den Nachbarländern geregelt. 2018 bezifferte sich das Arbeitslosengeld insgesamt auf 228 Millionen Euro, davon flossen etwa 32 Millionen ins Ausland. Mit 64 Prozent geht der Löwenanteil an Frankreich. Wenn wir beim Beispiel Frankreich bleiben, bedeutet dies konkret, dass Luxemburg drei Monate lang für das Arbeitslosengeld aufkommt und das Geld an den französischen Staat überweist. Ab dem 1. Juli werden es sogar fünf Monate sein. Der Arbeitslose ist allerdings beim französischen Arbeitsamt eingeschrieben. Wenn wir nun das System nach und nach umstellen, müsste Luxemburg nach Ablauf der vorgesehenen Fristen das volle Arbeitslosengeld übernehmen, allerdings wären die Erwerblosen in ihrem Heimatland registriert. Das heißt, wir bezahlen, können aber nicht kontrollieren, ob sich die Betroffenen wirklich um einen neuen Job bemühen oder nicht. Das gilt natürlich nicht nur für die Grenzgänger, sondern für die Beschäftigten aus allen EU-Ländern, die hier arbeiten und ihren Job verlieren. Wenn wird die Entschädigungen vollständig übernehmen, ist es sinnvoller, dass die Arbeitslosen auch in Luxemburg bei der ADEM eingeschrieben sind.

Luxemburger Wort: Ihr Vorgänger Nicolas Schmit konnte eine längere Übergangsfrist von sieben statt zwei Jahren aushandeln. Reicht die Zeit für die Umstellung?

Dan Kersch: Nachdem die Kommission ihre Vorschläge im Dezember 2016 vorgestellt hatte, konnte Nicolas Schmit in der Tat einige Probleme entschärfen. Er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Arbeitsmarkt in Luxemburg völlig atypisch ist. Mittlerweile gibt es knapp 200 000 Grenzgänger, die im Land arbeiten. Das gibt es in keinem anderen Land. Nicolas Schmit konnte zwar durchsetzen, dass Luxemburg eine Übergangsfrist von sieben Jahren zugestanden wird. Das gibt uns sicherlich etwas Luft, löst aber nicht alle Probleme. Wie ich vorhin bereits gesagt habe: Wir sollen zahlen, haben aber keine Kontrolle.

Luxemburger Wort: Es geht aber auch ums Geld. Welche Mehrkosten würden durch die neue Regelung auf Luxemburg zukommen?

Dan Kersch: Wir gehen von einer zusätzlichen Belastung zwischen 60 und 100 Millionen Euro pro Jahr aus. Bei den Zahlen handelt es sich um Schätzungen, weil uns keine genauen Statistiken vorliegen. Es geht, wie ich schon gesagt habe, aber nicht nur um den finanziellen Aspekt. Die Neuregelung stellt die ADEM vor enorme Herausforderungen. Da die Grenzgänger mittlerweile fast die Hälfte der Beschäftigten in Luxemburg ausmachen, wird sich die Zahl der Einschreibungen bei der Arbeitsagentur voraussichtlich auch in etwa verdoppeln. Das bedeutet, dass die ADEM viel mehr Mitarbeiter braucht. Bevor ein Berater aber voll einsatzfähig ist, muss er geschult werden. Und das dauert. Die Erfolge der ADEM-Reform würden durch den Ansturm wieder zunichte gemacht.

Luxemburger Wort: Welche Länder befürworten eigentlich die Reform?

Dan Kersch: Der größte Befürworter ist Frankreich. Die Hauptbeweggründe sind finanzieller Natur. Laut Schätzungen würde das Land durch die neue Regelung etwa 700 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Die französischen Grenzgänger selbst sind allerdings nicht ganz so begeistert von der Reform, weil sie teilweise erheblich Nachteile befürchten. Das Arbeitslosengeld ist in Luxemburg zwar - höher, in Frankreich ist die Frist hingegen länger. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmerkammer stehen der Reform übrigens auch sehr skeptisch gegenüber.

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