"Ich will keine Gelbwesten auf den Straßen"

Interview von Dan Kersch im Luxemburger Wort

Interview: Dani Schumacher (Wort)

Wort: Dan Kersch, Ihre Bilanz als Innenminister kann sich sehen lassen. Dennoch sind Sie nach fünf Jahren ins Beschäftigungsministerium gewechselt. Wieso? 

Dan Kersch: Für einen überzeugten Sozialisten ist das Beschäftigungsministerium natürlich eine Herausforderung. Als absehbar wurde, dass Nicolas Schmit nicht mehr für einen Regierungsposten zur Verfügung stehen würde, habe ich mich entschieden, das Ressort zu übernehmen. Die fünf Jahre in der Rue Beaumont waren sehr spannend. Ich bin froh, dass ich einige wichtige Reformen umsetzen konnte. Ich hoffe, dass ich ein ähnliches Resultat vorweisen kann, wenn ich die Schlüssel des Beschäftigungsministeriums irgendwann an meinen Nachfolger überreichen werde. 

Wort: Wo setzen Sie als Beschäftigungsminister Ihre Prioritäten? 

Dan Kersch: Oberste Priorität genießt natürlich das Arbeitsgesetzbuch, das permanent angepasst werden muss. Die Arbeitswelt verändert sich rasant, dem müssen wir Rechnung tragen. Ich denke dabei vor allem an die Digitalisierung, an die neuen Arbeitsformen, an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ... Wir müssen auf das reagieren, was sich in der Realwirtschaft tut. Die dauernden Anpassungen haben natürlich eine Kehrseite: Das Arbeitsgesetzbuch ist schwer lesbar. Zudem müssen wir überprüfen, ob es durch die zahllosen Änderungen nicht zu Überschneidungen oder gar zu Widersprüchen kommt. Priorität genießt auch der Sozialdialog. Die endlosen ideologischen Debatten zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften müssen aufhören. Wir müssen pragmatische Lösungen finden. Nur so können beide Seiten profitieren, nur so kommt es zu einer Win-win-Situation. Ich werde versuchen, zwischen den beiden Seiten zu vermitteln. Sollte es aber nicht zu einer Einigung kommen, wird die Regierung Verantwortung übernehmen und Gesetzestexte ausarbeiten. 

Wort: Hoffen Sie beim Sozialdialog nach der Wachablösung beim OGBL auf einen neuen Stil? 

Dan Kersch: Nora Back hat mit Sicherheit einen anderen Stil als ihr Vorgänger André Roeltgen. Die Gewerkschaftspolitik macht sich aber nicht an einer einzigen Person fest. Wenn ich fordere, dass die Ideologie beim Sozialdialog außen vor bleiben muss, dann beziehe ich dies nicht ausschließlich auf den OGBL, sondern auf alle Gewerkschaften. Die Forderung geht aber auch an die Adresse der Arbeitgeber. Es stört mich ungemein, dass mehr über die Ideologie gesprochen wird als über die reellen Probleme. 

Wort: Und mit welchen Themen sollten sich die Sozialpartner vorrangig beschäftigen? 

Dan Kersch: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Kollektivvertragswesen gestärkt werden muss. Die Schere zwischen Arbeitnehmern, die in Betrieben mit Tarifvertrag arbeiten, und jenen, die keinen Kollektivvertrag haben, geht immer weiter auseinander. Die Kollektivverträge sehen meist mehr Urlaubstage vor, es gibt mehr oder höhere Prämien, oft ist ein Recht auf Weiterbildung verbrieft und vieles mehr. Arbeitnehmer, die in einem Unternehmen mit Kollektivvertrag arbeiten, sind also klar im Vorteil. Als Arbeitsminister muss ich dafür sorgen, dass die Schere nicht noch weiter auseinandergeht. Ich muss aber auch versuchen, die Unterschiede zu verringern. Ich hoffe, dass wir zusammen mit den Sozialpartnern eine einvernehmliche Lösung finden. Ich will in Luxemburg keine Gelbwesten auf den Straßen! Viele Arbeitgeber sehen dies übrigens genau so. Sie sind sich bewusst, dass der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft sich verschlechtert, wenn wir keine gangbare Lösung finden. 

Wort: Wie wollen Sie das konkret tun? 

Dan Kersch: Wir müssen die Unternehmen davon überzeugen, dass auch sie von einem Kollektivvertrag profitieren können. Sicher, es ist verständlich, dass die Betriebe allergisch auf Forderungen wie Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen reagieren. Es geht natürlich um Geld. Auf der anderen Seite wünschen sich die Arbeitgeber flexiblere Arbeitszeiten, un die Arbeitsabläufe zu optimieren. Wer etwas haben will, muss auch etwas geben. Tarifverträge erlauben es, Lösungen zu finden, die über das Gesetz hinausgehen und daher auf den Betrieb zugeschnit ten sind. Und wenn sie ihrer Belegschaft bessere Bedingungen zugestehen - etwa mehr Urlaub oder ein Recht auf Weiterbildung - dann gelingt es den Arbeitgebern, ihre Mitarbeiter an den Betrieb zu binden. Mit dem Mindestlohn und 26 Urlaubstagen hält man die Mitarbeiter nicht bei der Stange, vor allem nicht in Zeiten, in denen Fachkräfte eh schon knapp sind. Ich glaube, dass Tarifverträge unter dem Strich zu einer Win-win-Situation führen. Davon müssen wir die Unternehmen überzeugen. Ich werde deshalb die gesetzliche Basis der Kollektivverträge nach Absprache mit den Sozialpartnern überarbeiten. Wir brauchen eine größere Flexibilität, um den Bedürfnissen der Betriebe besser Rechnung zu tragen. 

Wort: Das Regierungsprogramm räumt dem Thema Digitalisierung einen großen Stellenwert ein. An welchen Stellschrauben wollen Sie drehen, um das Arbeitsrecht in Einklang mit dem digitalen Zeitalter zu bringen? 

Dan Kersch: Wir müssen die Tele-Arbeit regeln. Allerdings fällt dies nur zum Teil in die Kompetenz des Beschäftigungsministers, hier ist vor allem der Finanzminister gefragt. Ganz wichtig ist mir auch das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit. Ich will noch in diesem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf einreichen, bei dem ich mich an der französischen Gesetzgebung orientieren werde. Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt grundlegend verändern. Viele Berufe verschwinden, andere kommen hinzu. Im Sozialbereich werden sicherlich viele neue Stellen geschaffen, denn in diesem Sektor können Jobs nicht durch die Robotisierung wegrationalisiert werden. Wir sollten also keine Angst vor der Digitalisierung haben, sondern die Entwicklung mit Optimismus angehen. In Luxemburg sind wir übrigens recht gut aufgestellt, wir verfügen über gut ausgebildete Fachkräfte. 

Wort
: Wobei wir dann beim Thema Aus-und Weiterbildung wären ... Laut Koalitionsabkommen wollen Sie die Weiterbildung reorganisieren. Wie wollen Sie die Reorganisation bewerkstelligen? 

Dan Kersch
: In einem ersten Schritt müssen wir eine Bestandsaufnahme vornehmen. Wir müssen das staatliche Angebot, aber auch das Angebot der Betriebe unter die Lupe nehmen. Ich gehe davon aus, dass die Bestandsaufnahme Defizite in einigen Bereichen aufzeigen wird. Wir werden also wahrscheinlich punktuell nachbessern und neue Weiterbildungsangebote schaffen müssen. Wo dies zu geschehen hat, ist meiner Meinung nach zweitrangig. Entscheidend ist, dass das Angebot stimmt. Ich will aber ausdrücklich betonen, das wir schon heute über ein sehr breit gefächertes und qualitativ hochwertiges Angebot an Weiterbildungsmaßnahmen verfügen. 

Wort
: In Zukunft sollen Pendler dort Arbeitslosengeld beziehen dürfen, wo sie zuletzt gearbeitet haben. Entsprechende Bestrebungen auf europäischer Ebene waren durch die EU-Wahlen vorerst ausgebremst worden. Wie geht es nun weiter? 

Dan Kersch
: Das steht noch nicht fest. Ich möchte daran erinnern, dass Pendler, die ihre Arbeit verloren haben, sich schon heute bei der ADEM einschreiben können. Das ist nicht das Problem. Sollten die Grenzgänger in Zukunft aber gezwungen werden, sich in dem Land an die Arbeitsagentur zu wenden, in dem sie zuletzt gearbeitet haben, dann wird es eng. Ich gehe etwa von 25.000 Dossiers aus, die die ADEM zusätzlich betreuen müsste. Ein solcher Ansturm würde die Erfolge, die wir dank der Reform erzielt haben, wieder zunichte machen. Wir brauchen eine Sonderregelung. Luxemburg ist das einzige EU-Land mit einem derart hohen Anteil an ausländischen Arbeitnehmern. Wir sind auf die Pendler angewiesen, ohne ihre Arbeitskraft würde unsere Wirtschaft nicht funktionieren. 

Wort
: Im Koalitionsabkommen wurde der DP-Vorschlag zurückbehalten, dass Beschäftigte einmal in ihrem Arbeitsleben ein Anrecht auf Arbeitslosengeld haben sollen, wenn sie selbst gekündigt haben. Wie stehen die Chancen, dass die Idee umgesetzt wird? 

Dan Kersch
: Im Koalitionsabkommen steht, dass wir den Vorschlag prüfen werden. Einige Argumente sprechen für eine Umsetzung, andere dagegen. Für mich hat der Vorschlag aber keine Priorität. 

Wort
: Das Recht auf Teilzeitarbeit geht hingegen auf eine Idee der LSAP zurück. Räumen Sie diesem Vorschlag Priorität ein? 

Dan Kersch
: Ja, das Recht auf Teilzeitarbeit reiht sich nämlich nahtlos in die bisherige Politik der Regierung ein. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren diverse Möglichkeiten geschaffen, um das Berufs-und das Familienleben besser unter einen Hut zu bringen. Die Teilzeitarbeit ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Mir ist dabei besonders wichtig, dass die Rentenansprüche weiterlaufen. Ich will verhindern, dass Arbeitnehmer einen Karriereknick und somit Einbußen bei der Altersversorgung hinnehmen müssen, nur weil sie sich um ihre Kinder gekümmert haben. 

Wort
: Die Arbeitgeber werden nicht begeistert sein ... 

Dan Kersch
: Wir müssen gemeinsam eine praktikable Lösung finden. Die wichtigste Frage wird sein, wie wir die Fehlstunden auffangen können. Ein ähnliches Problem gibt es übrigens auch beim Elternurlaub. Der ADEM kommt eine bedeutende Rolle zu. Die Teilzeitarbeit könnte eine Chance sein, um Arbeitsuchende wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ich bin mir bewusst, dass ein Arbeitsuchender, der nur wenige Stunden pro Woche in dem Betrieb tätig ist, nicht so viel leistet, wie ein Mitarbeiter, der über jahrelange Erfahrung verfügt. Wir müssen die Unternehmen daher über den Beschäftigungsfonds unterstützen. 

Wort
: Die Unternehmen sind oft auf hoch qualifizierte Mitarbeiter angewiesen. Die Wirtschaft hat eh schon mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen, wo wollen Sie die hernehmen? 

Dan Kersch
: Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind auch viele gut ausgebildete Fachkräfte bei der ADEM eingeschrieben, darunter viele im Reclassement. Hier schlummert ein riesiges Potenzial. Gerade für sie könnte eine Teilzeitarbeit eine Chance sein. Sie verlieren ihre Fähigkeiten und ihre Kompetenzen nicht, nur weil sie aus gesundheitlichen Gründen keine 40-Stunden-Woche mehr bewältigen können. 

Wort
: Sie sind nicht nur Arbeitsminister, Sie betreuen auch das Sportressort. Wie kam es dazu? 

Dan Kersch
: Ich bin ein sportbegeisterter Mensch und habe 20 Jahre lang aktiv Handball gespielt. Das Sportministerium ist mein Traumressort. 

Wort
: Bislang stand Spitzensportlern nur die Elitesportsektion bei der Armee offen. Nun soll eine Alternative geschaffen werden. Gibt es schon Details? 

Dan Kersch
: Wir sind mit einem doppelten Problem konfrontiert. Zum einen gibt es Sportler in der Armee, deren Mandat auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn ausläuft. Es gibt aber auch Athleten, die zwar alle Bedingungen erfüllen, die aber nicht zur Armee wollen. Wir brauchen für die Talentförderung also eine Alternative, damit begabte Sportler unter professionellen Bedingungen trainieren und gleichzeitig ihre berufliche Karriere vorantreiben können. Ähnlich wie die Sportsoldaten, müssen auch Athleten, die das neue Statut in Anspruch nehmen wollen, einigen Verpflichtungen nachkommen. Ich könnte mir beispielsweise einen Verwaltungsjob bei einem Sportverband, Trainingstunden ih einem Sportclub oder sogar einen Einsatz in der Entwicklungshilfe vorstellen. Das Projekt ist noch nicht spruchreif, die Gespräche haben gerade erst begonnen. 

Wort
: Wo kommt denn nun das Sport-Lycée hin? 

Dan Kersch
: Wenn alles nach Plan verläuft, nach Mamer. Bürgermeister Gilles Roth hat mir persönlich versprochen, die Gemeinde würde keine zusätzlichen Ansprüche gegenüber dem Staat stellen und würde das Sportlyzeum gerne aufnehmen. Sollte dem so sein, müsste es also klappen. Genauso verhält es sich übrigens mit dem Sportmuseum. Die Gemeinde Esch hat uns einen fairen Vorschlag unterbreitet. Falls wir uns einig werden, und davon gehe ich genau wie im Dossier Sportlyzeum/Mamer aus, kommt es nach Esch. Ich mag die üblichen langwierigen Standortdiskussionen in Luxemburg überhaupt nicht und bestehe deshalb auf Entscheidungen. 

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